Armut muss nicht sein - Interview mit Hertha Kerz Sozialpsychologin
Frau Kerz, ihr Buch „Hertha Kerz sagt Armut muss nicht sein: Geld richtig verwalten“ umfasst mehr als 600 Seiten Wissen über Einspar- und Verbesserungsmöglichkeiten. Geben Sie den Lesern bitte einen Tipp. Mit was sollten sie starten oder sollte man einfach vorne anfangen und dann Punkt für Punkt durcharbeiten?
Ich glaube, es kommt darauf an, in wie weit sich der Leser mit dem Thema Sparen auseinandersetzen will. Da es momentan eilt, sind aktuell natürlich die Kapitel 1.4 Energie und Energieverbrauch, 1.5 Heizung und Kapitel 5. Kaufwahn (wie wir im Geschäft manipuliert werden) die wichtigsten Themen. Will der Leser jedoch den größtmöglichen Nutzen aus dem Buch ziehen, sollte er parallel die Kapitel 2. Fähigkeiten um zu sparen und dann 4. Verkaufspsychologie durcharbeiten. Anschließend alle anderen durcharbeiten.
Was denken Sie, hat Sparen etwas mit Mangeldenken zu tun und werden wir demnach unser Leben in allen Bereichen auf Sparflamme leben, aus Angst Verluste zu erleiden?
Für viele Menschen ist das Wort „sparen“ gleichbedeutend mit 'Verzicht' , 'Armut', 'Hartz IV'.
Tatsächlich hat sparen aber mit Reichtum zu tun. Von den Albrechtbrüdern ist bekannt, dass sie sich nur das gekauft haben, was sie wirklich benötigten. In der Ökonomie gibt es den schönen Satz: „20 Prozent der Zeit des wirtschaftlichen Handelns zum Geld ausgeben, 80 Prozent zum Geld vermehren“ nutzen.
Denn jeder Euro, den ich nicht ausgebe, ist ein gesparter Euro. Es geht nicht darum, sein Leben frustriert auf Sparflamme in einer kalten Wohnung im Bett bei Kerzenschein, Wasser und Brot zu verbringen. Mein Buch möchte dem Leser helfen, überflüssige Ausgaben zu vermeiden und keine Angst mehr vor Kosten zu haben.
In Ihrem Buch beschreiben Sie ab Kapitel 4 unter mehreren Punkten die Verkaufspsychologie/ Verkaufstricks der Händler und wie man sie erkennt. Wie stark ist unsere Bevölkerung damit konfrontiert und warum fällt es oft so schwer dem zu entkommen? Sind wir gehirntechnisch so sehr manipulierbar?
Jede Kommunikation zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Umwelt ist eine Manipulation. Es gibt einen Reiz, ein Geräusch, ein Bild, einen Geruch und wir reagieren darauf.
Dabei gibt es schwarze und weiße Manipulation. Die weiße Manipulation hilft und ist uns von Nutzen. Bei ihr haben alle Beteiligten einen gleichgroßen Vorteil, der natürlich eine unterschiedliche Ausprägung haben kann. Dabei kann es sich um materielle oder immaterielle Vorteile handeln.
Bei der schwarzen Manipulation dagegen hat eine Partei einen sehr großen Vorteil, die andere Partei dagegen vorwiegend Nachteile. Und der Benachteiligte bemerkt gar nicht, dass er benachteiligt wird. Vielmehr wird ihm Glauben gemacht, dass er derjenige sei, der den (größeren) Vorteil habe. Dann und nur dann funktioniert die schwarze Manipulation. In dem Moment, in dem jemand die Tricks durchschaut, ist es nur noch möglich, ihn zu beeinflussen, wenn er es zulässt.
Verkaufspsychologen haben die schwarze Manipulation regelrecht zur Kunstform erhoben.
Gehirntechnisch ist das ganz einfach zu erklären. Die meisten Menschen sind extrem egoistisch. Wenn sie glauben, sie erhielten einen Vorteil, greifen sie zu – ohne nachzudenken, ob die Information, die sie gleichzeitig erhalten, inhaltlich stimmt bzw. vollständig ist.
Dazu kommt: Wir reagieren auf Freundlichkeit. Kaum ein Verkäufer, der seinen Beruf ernst nimmt, wird zu uns unhöflich sein. Unhöflichkeit tritt erst dann auf, wenn wir nicht kaufen. Im schlimmsten Fall verbunden mit Schmähungen und Herabwürdigungen. Aber gegen Freundlichkeit sind die wenigsten Menschen immun.
Leseprobe:
Welches Thema in Ihrem Buch ist Ihr Lieblingsthema und warum genau?
Für mich als Sozialpsychologin ist die Verkaufspsychologie am interessantesten, als Sozialökonomin dagegen das Thema Wohnen.
Im ersten Fall finde ich es faszinierend, dass Menschen jahrzehntelang beim Einkaufen immer auf die selben Tricks hereinfallen und die selben Fehler begehen – beispielsweise Unmengen von Nahrungsmitteln zu kaufen und wegzuwerfen.
Im zweiten Fall verstehe ich nicht, warum Menschen dauernd ihren Wohnort wechseln, wenn es sich um die gleiche Stadt handelt. In Deutschland zieht jede Person durchschnittlich alle vier Jahre um – jeder Umzug kostet und jedes Mal kostet es mehr Miete.
Unsere Gesellschaft wird oft als Wegwerfgesellschaft betitelt. Warum denken Sie ist das so? Werfen wir wirklich soviel weg, was man normalerweise noch weiterverwenden oder wenn es sich um Lebensmittel handelt, auch aufessen könnte? Irgendwoher muss so ein Verhalten doch kommen?
Wir werfen endlos viel weg. Das ist richtig. Allerdings ist das kein aktuelles Problem. Wer noch den Sperrmüll von vor dreißig Jahren kennt, weiß, dass es dieses Phänomen schon seit dem zweiten Weltkrieg gibt. Der Mensch will erst einmal alles haben, hält aber immer nach etwas Besserem Ausschau. Dazu kommt, dass die meisten Menschen ununterbrochen im Wettbewerb mit ihren Mitmenschen stehen. Hat der andere etwas, muss er selbst etwas Besseres haben. Und der andere zieht dann wieder nach.
Bei Lebensmitteln liegt es wohl eher an der Massenproduktion seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Entwicklung von Convenience hat nicht nur der Frauenbewegung einen enormen Schub verliehen, sie hat auch die Preise für Lebensmittel massiv gedrückt, allerdings auch die Qualität der Nahrung extrem verringert.
Außerdem ist es ein riesiger Unterschied, ob ich bedient werde oder ob ich mich selbst bediene. Ist viel da, kann ich viel nehmen. Diesem Phänomen habe ich einen großen Abschnitt in meinem Buch gewidmet. Denn nur wenn der Konsument die Zusammenhänge versteht, kann er gegensteuern.
Auch das Mindesthaltbarkeitsdatum, welches ursprünglich gedacht war, um den Hausfrauen einen Anhaltspunkt zu geben, wie lange sie die Lebensmittel aufbewahren können, tut das seine dazu. Anfangs hielten sich die Produzenten an das MHD. Die Hausfrau wusste, dass das Lebensmittel über dieses Datum hinaus nicht mehr lange haltbar war. Doch dann wurde diese Hilfe von den Herstellern ins Gegenteil verkehrt und als weitere schwarze Manipulation missbraucht. Das MHD wurde immer weiter verkürzt, die Überzeugung aber, dass das Lebensmittel nur bis zu diesem Datum haltbar wäre, blieb in den Köpfen der Konsumenten hängen. Zumal es tatsächlich Lebensmittel gibt, die nur eine begrenzte Zeit haltbar sind, wie beispielsweise Milch, Fleisch oder Fisch.
Beispiele für schwarze Manipulation dagegen sind Eier, deren Haltbarkeit mit drei Wochen angegeben wird, deren tatsächliche Haltbarkeit jedoch bei sechs Wochen liegt. Joghurts sind immer mindestens eine Woche, oft sogar zwei über dem MHD haltbar. Handelt es sich um bearbeitete Nachtische, verlängert sich dieser Zeitraum oft auf vier bis sechs Wochen. Aufschnitt hält sich meist mindestens eine Woche länger, oft sogar zwei.
Leider vertrauen Menschen anderen Menschen mehr, als sich selbst. Und so kommen sie gar nicht auf die Idee, das Lebensmittel zu öffnen, daran zu schnuppern, zu schauen, ob e sich visuell oder geschmacklich stark verändert hat. Lieber werfen sie es weg.
Könnte man Ihr Buch auch als eine Art Arbeitsbuch verstehen, was man immer wieder griffbereit auf dem Küchentisch liegen hat?
Auf jeden Fall ist das Buch nicht dazu gedacht, es nur durchzulesen, wissend zu nicken und es dann wegzugeben. Ich hoffe sehr, dass die Leser die dortigen Übungen durcharbeiten und die Tipps anwenden. Allerdings sollten sie auf jeden Fall die Bücher führen (Haushaltsbuch, Speiseplan, Energieverbrauch usw.), die ich vorgestellt habe.
Nur wenn der Leser seinen Hausstand als kleines Unternehmen ansieht, wird er die größtmögliche Kontrolle über seine Ausgaben haben und den größtmöglichen Nutzen aus dem Buch ziehen - und Spaß macht es auch noch.
Gerade auch in diesem Jahr 2022 hat unsere Regierung gravierend schnell Bereiche verändert, die essentiell wichtig in unserem Alltag sind. Heizkosten, Benzinpreise, Lebensmittel, alles schnellte in die Höhe. Würden Sie sagen, dass ihr Buch weiterhin an Aktualität besitzt, gerade vor dem Hintergrund, dass sich unser Leben im Rekordtempo verändert?
Ich fürchte, das Buch „Hertha Kerz sagt Armut muss nicht sein – Geld richtig verwalten“, ist aktueller denn je. Als ich es schrieb, hatte ich eigentlich an die Leser gedacht, die sowieso sehr wenig Geld zur Verfügung haben. Doch zwischenzeitlich ist dieser Kreis unendlich angewachsen. Tatsächlich sehe ich bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit immer mehr bedürftige Menschen auch aus höheren Einkommensschichten.
Gibt es eigentlich verschiedene Beweggründe zu sparen, außer die Angst, dass alles viel teuer wird und wir uns das in Zukunft nicht mehr leisten können? Lieber schnell nochmal alles leer kaufen?
Eine interessante Frage, habe ich doch noch nie aus Angst vor Armut gespart. Vielmehr habe ich kein großes Interesse am Kaufen und will mich auch nicht lange beispielsweise in Supermärkten aufhalten. Überlegen sie, wie viel Zeit an vergeudet, wenn man sich stundenlang in Geschäften aufhält, vielleicht drei oder sogar viermal in der Woche einkaufen geht. Wie schwer das Zuviel ist – und dann erst die Entsorgung.
Ich habe sehr viele Interessen, dazu gehört jedoch nicht das Shoppen. Ich habe alles, was ich benötige – ansonsten gibt es so viele Bekannte, Tauschregale oder auch neuerdings einfach abgestellte Kartons, in denen Dinge zu finden sind, die diejenigen, die sie hingestellt haben, nicht mehr brauchen.
Ansonsten fragen Sie sich bei jedem Teil, das Sie kaufen wollen, warum Sie es haben möchten und was geschähe, wenn Sie es nicht kauften. Denn oft wird der Bedarf einer Sache erst durch den Hersteller geweckt. Vorher wäre man nie auf die Idee gekommen, sie haben zu wollen.
Es würde mich freuen, wenn es noch einen Punkt gibt, welchen Sie gerne von Ihrer Seite aus in dieses Interview einbinden würden.
Es würde mich sehr freuen, wenn die Menschen befriedigende Tätigkeiten fänden, sodass sie ihre Leere und Langeweile nicht mit dem Kaufen vergeuden müssten. Zumal: Wenn sie weniger kauften, müssten sie weniger arbeiten und hätten mehr Zeit für Dinge, die sie häufig deshalb nicht tun, weil sie zeitintensiv sind. Mein Buch könnte ihnen ja dabei helfen, trotz weniger Arbeit genug Geld zu haben.
Heike Hoffmann - Herzlichen Dank für Ihre Zeit und ihre Wissen. Alles Gute für Sie und gute Zeiten.
Hertha Kerz - Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch.

Verlag : BoD – Books on Demand; 1. Edition (15. September 2021) Sprache : Deutsch Taschenbuch Seiten : 614 ISBN-10 : 3754337416 ISBN-13 : 978-3754337417 Preis: 18,99 €
e-book
Verlag: Books on Demand; 1. Edition (11. Oktober 2021) Sprache : Deutsch Dateigröße : 2389 KB Text-to-Speech (Vorlesemodus) : Aktiviert Screenreader : Unterstützt Verbesserter Schriftsatz : Aktiviert X-Ray : Nicht aktiviert Word Wise : Nicht aktiviert Seitenzahl der Print-Ausgabe : 946 Seiten Preis: 12,99 €
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